: Martin Heidegger. . Reinbeck 2005 : Rowohlt Verlag, ISBN 3-499-50665-3 138 S. € 8,50

: Heidegger, l'introduction du nazisme dans la philosophie. Autour des séminaires inédits de 1933-1935. Paris 2005 : Editions Albin Michel, ISBN 2-226-14252-5 568 S. € 29,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kersten Schüßler, Redaktion, lizard Medienproduktion

„Das Nichts nichtet“ schreibt Frankreichs Skandalschriftsteller Michel Houellebecq über ein Kapitel seines jüngsten Romans 'Die Möglichkeit einer Insel'. Houellebecq erzählt vom Verschwinden der Menschheit durch den Sieg der Technik. Heideggers Philosophie erzählt von der Technik und dem Verschwinden des Humanen im „Gestell“. Ist Heidegger also brandaktuell? Oder ist er vielmehr ein vorgestriger Nazi-Philosoph, wie Houellebecq Landsmann, Emannuel Fayé, jüngst skandalträchtig behauptete?1 Manfred Geier folgt mit seiner neuen rororo-Biografie Rüdiger Safranskis Diagnose von 1994.2 Demnach sei Heidegger nur zeitweise Nazi gewesen, seine Philosophie nicht infiziert. Wie Safranski vermeidet Geier, vom Gebrauch ähnlicher Begriffe in Heideggers Philosophie und in seinen wenigen politischen Reden auf eine generelle Übereinstimmung zu schließen und verweist stets auf die Gesamtlinie des philosophischen Gedankengangs. Er entdeckt in seiner Biografie allerdings einen Mann aus kleinen Verhältnissen, der als „Meister der Verschiebung“ stets Großes in seinen Lebensmittelpunkt stellt. Ob Gott, Nationalsozialismus oder Technik – Heidegger fühlt sich berufen, mitzureden.

Geboren wie Hitler 1889 und aufgewachsen in engsten Provinzverhältnissen, bleibt er Zeit seines Lebens diesem Hintergrund verhaftet. „Der Gymnasiast war strebsam und fleißig“ (S. 20), schreibt Geier. Er schildert, wie der katholische Stipendiat bald auf Aristoteles, auf Carl Braigs Seins-Ontologie und Edmund Husserls Phänomenologie kommt. Schon früh lehnt Heidegger „Außenkultur und Schnelllebigkeit“ ab, bricht aber auch mit dem Katholizismus. Er studiert Rickerts Neukantianismus, promoviert 1913 und habilitiert 1915 über Duns Scotus und die Kategorienlehre. Politisch ist er desinteressiert. Im Ersten Weltkrieg als Soldat kaum eingesetzt, erlebt Heidegger nicht Verdun als Krise, sondern dass er nicht auf eine Freiburger Professur gelangt. Vom dort lehrenden Husserl väterlich gefördert, will er den Meister bald überwinden, will nichts Akademisches, sondern das Leben in philosophischer Privatsprache selbst ergründen. Begriffe wie „Ich-Haben“, „Ich-bin“ und „das Sorgen“ verbindet er mit klassischer Aristoteles-Deutung (S. 45f.). Im Pathos der Unmittelbarkeit entsteht eine Philosophie der Befindlichkeit. 1923 geht er nach Marburg, 1925 trifft er – obschon verheiratet mit zwei Kindern – mit der jüdischen Studentin Hannah Arendt die Liebe seines Lebens. Mit ihr kommt er vom ich zum wir.

1927 erschüttert Heideggers ‚Sein und Zeit’ die philosophische Welt. Geier zeigt, dass diese „vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“ nur die jeweils eigene, deutsche Existenz ausleuchtet. Die kapriziös-raunende Eindeutschung griechischer Begriffe begeistert dennoch ein großes Publikum. Philosophisch will Heidegger von der Ausdeutung des „Daseins“ menschlicher Existenz zum grundlegenden „Sein“, zur Ontologie, „umkehren“. Geier veranschaulicht die Problematik dieser „Kehre“ glänzend mit dem Philosophenstreit zwischen Heidegger, Ernst Cassirer und Paul Natorp. In der Krisenzeit der Moderne, angesichts naturwissenschaftlich-technischer Infragestellung des Menschen, nachdem Historismus und Relativitätstheorie absolute Wahrheiten zurückgewiesen haben und die Philosophie in Richtung Biologie und Relativitätstheorie tastet, will sich Heidegger mit einer Philosophie behaupten, die die eigene Existenz als Zugang zum Weltengrund begreift. Schon in ‚Sein und Zeit’ verknüpft er das „Dasein“ mit dem „Geschick“ aller. Mit der ausbleibenden „Kehre“ zum „Sein“ droht jedoch der philosophisch-politische Kurzschluss: Die Verschiebung der philosophischen Erwartung in die reale Sphäre der Politik (S. 96f.).

Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers lässt sich Heidegger zum Rektor der Freiburger Universität wählen. Er trägt nun Führerbärtchen (Foto S. 87, 91.103). Bei universitären Feiern besteht er auf das Absingen des Horst-Wessel-Liedes und den kollektiven Hitlergruß. Geier schreibt, Heidegger habe auch jüdischen Kollegen wie Husserl zu helfen versucht, sein Erfolg sei aber beschränkt gewesen. Keineswegs aus Protest gegen die Nazis, sondern weil seine Ambitionen vom Regime nicht gewürdigt werden, zieht er sich 1934 von seinen Ämtern zurück. Leider erwähnt Geier nicht, dass Heidegger sich nicht nur wenig einsetzt, sondern auch aktiv diskriminiert, denunziert und vertriebene Kollegen totschweigt.3 Auch ein Blick auf kongeniale Kollaborateure wäre hilfreich gewesen. Wenn statt in seiner Philosophie Heidegger in Hitler vorübergehend eine Antwort findet, wird ihm wie dem Juristen Carl Schmitt der „Führer“ zum Gesetz. Und wie Schmitt scheitert er, da der Sprung in Nichts und Leere auch wissenschaftlich unfruchtbar bleibt.

Mit dem Rückzug vom Rektorat wird Heidegger vom aktiven Nazi zum Mitläufer, der, wie Geier en passant bemerkt, sich 1938 nicht einmal zur Beerdigung seines jüdischen Lehrers und Förderers Husserl wagt. Er schildert wie sich Heidegger nach dem Rückzug der Dichtung Hölderlins zuneigt, wie er den Nationalsozialismus als rasende Macht und Technik deutet. Heidegger bleibt Parteimitglied bis 1945 und setzt auf eine Erlösung aus der Moderne aus „deutschem Geist“. Dem NS-Zusammenbruch folgt der persönliche, als er seine Professur verliert. Nach sechs Jahren allmählicher Rehabilitierung ist er ordentlicher Emeritus und betreibt statt einer Aufarbeitung des Vergangenen eine erweiterte Technik-Kritik. Heidegger philosophiert nun vom „Gestell“ der Technik und meint damit die Vernutzung von Mensch und Natur, der er das „Geviert“ als Refugium nachhaltig-hegender Existenz gegenüber stellt. Ärgerlich umgeht Geier hier das Zitat, Auschwitz und die Mechanisierung der Landwirtschaft seien „im Wesen dasselbe“ (1949). In Geiers kurzer Schau des späten Heidegger fehlen ebenso die Besuche des einstigen KZ-Häftlings Paul Celan sowie das noch vom rororo-Vorgänger-Band von Walter Biemel geschilderte, posthum publizierte Interview mit dem Spiegel-Herausgeber Augstein. Celan hört kein Wort der Reue, Augstein keine erhellende Erklärung für Heideggers Haltung zum Dritten Reich.

Geier liefert also eine flüssige, großteils luzide Einführung zu Werk und Person. Doch wenn schon einer eine elegant-aufgefrischte Biografie in die Diskussion um Heideggers Nazi-Engagement hineinschreibt, warum wird er dann nicht deutlicher, befreiender? Natürlich steht nirgends bei Heidegger, man müsse Juden vernichten. Aber Heidegger hat – wie Geier anfangs deutlich sagt – den Nationalsozialismus begeistert begrüßt und sich aktiv hervorgetan. Erst als das Regime nicht wollte, wie er träumte, hat er sich beleidigt zurückgezogen. Die Frage nach seiner persönlichen Verantwortung empfand er wie die Entziehung der Lehrerlaubnis als Zumutung, eine Haltung, die auch Schüler wie Gadamer posthum für ihn vertraten. Hat das alles nichts mit seiner Philosophie zu tun? Nein, hat es nicht. Aber was ist von dieser Philosophie zu halten, die auf die existenziellen Fragen ihrer Zeit, auf Modernitätskrise, rassische Ausgrenzung und Züchtungswahn keine Antwort wusste? Die auch ihren Urheber mitlaufen ließ? Was bleibt, provokant gefragt, über den historischen Wert einer lau für moderne Heimatverluste sensibilisierenden Existenzphilosophie hinaus? Auch hier gibt Geier keine Antwort.

Heidegger ist tot, sein Schweigen dröhnt weiter. Wie die kalten Denker Carl Schmitt und Jünger bleibt er ein konservativer Kassenschlager, anders als die Zeitgenossen Kelsen, Plessner, Voegelin, die Gesellschaft, Technik, Biologie oder Recht moderner durchdachten. Spiegeln nur sozial unempfindlichere Solitäre kristallklar die Schwächen der Massenwelt? Oder ist es der ästhetische Gestus der Gegenmoderne, der angesichts auch sozial erschöpfender Unübersichtlichkeit vermeintlich das Denken anregt? Wieder wird Heidegger diskutiert. Über Ernst Kantorowicz beispielsweise, der "politischer Theologie" historisch tiefgründig nachspürte, liegt nicht eine deutsche Biografie vor. Auch so nichtet das Nichts.

Anmerkungen:
1 Fayé, Emannuel, Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie, Paris 2005.
2 Safranski, Rüdiger, Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, München 1994.
3 Vgl. Ott, Hugo, Martin Heidegger. Unterwegs zu einer Biographie, Frankfurt am Main 1988, S. 204f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Martin Heidegger
Sprache der Publikation
Heidegger, l'introduction du nazisme dans la philosophie
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension